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Erinnerungen an das Ehepaar Karla und Walter Kirsche

  Von Britta Beyer

In diesem Jahr am 21. Juni würde Prof. Kirsche 100 Jahre, seine Frau Karla kurz vorher 95 Jahre alt. Diesen beiden außergewöhnlichen Menschen bin ich bis heute dankbar, denn sie haben großen Anteil an der Gestaltung meines Lebensweges.

Ich war als Kind viele Jahre die „Borge-Tochter“ von „Onkel Cherry und Tante Karla“, deren liebevolle und über 60jährige Ehe leider kinderlos bleiben musste. Den Namen „Cherry“ (wie „Kirsche“) hatte Prof. Kirsche von der Familie seiner Frau bekommen und dieser begleitete ihn durch sein ganzes Leben. Von seiner Frau wurde Walter Kirsche nie anders als „Herrchen“ genannt, darin begründet, dass das Paar, bis auf die letzten, von Krankheit beherrschten Jahre, nie ohne Hund oder/und Katze lebte. Im Institut für Anatomie der Charité, dessen Direktor Prof. Kirsche bis 1980 war, sprach man unter den Mitarbeitern vom „Chef“, dies aber sehr freundschaftlich. Jedes Jahr gab es eine Einladung nach Pätz, der vom Hausmeister über die Sekretärin bis zum Oberarzt jeder gern folgte. Meine Eltern und ich wohnten damals noch in Berlin, aber im Sommer war Pätz unser Lebensmittelpunkt und ich verbrachte viel Zeit bei Kirsches. Entgegen den Befürchtungen meiner Eltern genossen es die Beiden, wenigstens zeitweise die „Kleine“ zu haben. Am größten allerdings war meine Freude!

An den Tagen, an denen die Sonne schien, gingen wir zwischen 9 und 10 Uhr zu der großen Freianlage der Schildkröten im Garten um die Tiere zu füttern, zu wiegen, die Paarungs-“Rennen“ und Eiablagen zu beobachten, zu dokumentieren und Fotos zu machen. An sehr heißen Tagen badete ich mit Tante Karla im Naturteich - wir schwammen mitten im Goldfischwarm. Sehr gern ging ich runter zum See, wo man vom Steg aus eine Biberburg sehen konnte. Das Schild „Vorsicht Kreuzottern – Lebensgefahr!“ beeindruckte nicht nur mich; es stand sehr erfolgreich am Steg, um ungebetene Kahntouristen vom Landgang abzuhalten. Nebenbei lernte ich von Onkel Cherry die Schmetterlingsarten zu unterscheiden, die man in den 70er Jahren auf den Trockenwiesen noch massenhaft zu sehen bekam. Er erklärte mir, wie man bestimmte Bäume (Berg-Spitz-Feldahorn, Tannen-Fichten-Kiefern) oder Insekten (Wespen-Schwebfliegen-Bienen) unterscheidet, lehrte mich viele Verhaltensweisen (warum quaken die Frösche, wenn ein Flugzeug zu hören ist?) der Tiere und machte mich auf Dinge aufmerksam, die ein Stadtkind nie sieht (Ähnlichkeit von Kartoffel- und Orchideenblüten). Pätz-Urlauber standen oft an der Dorfaue am Zaun und bewunderten Agaven und Kakteen. Gern wurden sie dann in den Garten eingeladen, wo der Herr Professor in seinen alten Cordhosen und dem ausgeblichenen Karohemd, mit Gummistiefeln und Strohhut, alles erklärte. Mal erzählten Pätz-Touristen, dass sie in Prof. Kirsches Garten waren und von einem sehr netten und kompetenten Gärtner herumgeführt wurden. Das amüsierte Onkel Cherry sehr.

Wenn wir aus dem Garten kamen, vergaß ich nicht, den beiden Alexandersittichen in der Voliere nach Möglichkeit Butterblumenblüten mitzubringen und wurde jedes Mal freudig-laut von ihnen empfangen. Unsere Gartengänge waren immer begleitet von der Cockerdame Dina. Sie liebte es, im Goldfischteich zu schwimmen. Ich hatte sie mal in Pflege als Kirsches zum Kongress waren und sie ließ mich jede Stufe, die sie zum Pullern in den Garten laufen musste, mit einer Hand voll Hühnerfleisch bezahlen. „Dinchen“ musste 1973 leider, 12 Jahre alt und krank, erlöst werden. Danach fanden sich immer wieder Katzen an - und blieben. Sie alle wurden liebevoll gepflegt und beherbergt. Von Frau Kirsche, die ständig irgendeinen Pflegling hatte, lernte ich, alle möglichen Tierkinder aufzuziehen: Haubentaucher, Schwanzmeise, Elster, Specht, Kätzchen, Igel und in jedem Winter die Schildkröten des Vorjahres. Diese Liebe zur Natur fiel bei mir auf fruchtbaren Boden, denn ich komme aus einer Familie, in der man junge und schwache Tiere aufpäppelt, sich gern mit Grün umgibt und alle, von Hund bis Zwergmaus, zu Familienmitgliedern ernennt.

Ich half auch gern und kniete mit Tante Karla am Haus zwischen den Buchsbäumen als Prof. Kirsche sagte: „Ihr seid ja fleißig“ Frau Kirsche erwiderte: „Ja, wir machen Unkraut.“ Seine Antwort war: „Das müsst ihr aber nicht machen, das ist doch schon da.“ Was ich bei Kirsches auch immer toll fand, zum Sommermittag gab es unten im Garten schnelles Essen: Kekse oder Schokolade oder Kuchen.

Im Winter, wenn wir Kirsches besuchten, aßen wir gemeinsam mit dem zahmen Rosenköpfchen "Piepsi" unseren Kuchen und mussten beim Abräumen aufpassen, dass wir nicht über eine der beiden Strahlenschildkröten "Asta" oder "Mäxchen"

stolperten, die warm und freilaufend auf den Frühling warteten. Zu jeder Mahlzeit kam Onkel Cherry mit Zeitungartikeln oder Veröffentlichungen an den Tisch und während des Essens wurde der Inhalt diskutiert. Oft waren Umweltfragen das Thema und Prof. Kirsche dozierte so leidenschaftlich, dass seine Frau ihn beruhigten musste, da sie immer Angst hatte, er bekommt wieder einen Herzanfall.

Das Esszimmer gehörte in jedem Winter, temperaturerniedrigt und geräumt, den großen Agaven und der Kakteensammlung. Der Dank dafür waren im Sommer blühende Kakteen an der Südseite des Hauses. Den Höhepunkt setzte die Blüte der „Königin der Nacht“.

Im Winter fand die Forschung auf medizinischem Gebiet statt: Da wurden im hauseigenen Histologielabor Paraffineinbettungen der Gehirne von Tierembryonen vorgenommen und histologische Schnitte zur mikroskopischen Auswertung hergestellt, denn Frau Kirsche war MTA und die persönliche Assistentin ihres Mannes. Bei Kirsches habe ich zum ersten Mal durch ein Mikroskop geguckt und Pantoffeltierchen beobachtet. Mein Interesse für die Medizin wurde letztendlich nach dem Rundgang im Institut für Anatomie geweckt und meine Berufswahl stand fest. Ich wurde ebenfalls MTA in der Histologie und bin dem Gebiet treu geblieben. Heute arbeite ich in der Krebsforschung und das Mikroskop (Elektronenmikroskop) ist mein tägliches Arbeitsmittel. Es gab auch Tage, an denen Frau Kirsche mit mir in der Dunkelkammer verschwand und wir Dutzende Fotos von schlüpfenden Schildkröten, selten gewordenen Insekten und Pflanzen, auch Impressionen des „Sommerparadieses“ (Garten) entwickelten. Prof. Kirsche war im Garten stets mit einer Kamera bewaffnet. Er drehte auch Super-8-Filme, die heute elektronisch gesichert vorliegen.

Kurzum:

Karla und Walter Kirsche prägten einen Großteil meiner Kindheit und Jugend. Auch meine Töchter begeisterte Onkel Cherrys Naturliebe und -wissen und Tante Karlas bedingungslose Tierliebe, so dass auch sie gern Zeit bei Kirsches verbrachten. Später als die beiden Kirsches alt und krank waren, genossen sie es, dass ich Ihnen durch intensiven Kontakt und Pflege ein Stück weit die Tochter ersetzte, die sie nie hatten. Ich habe Kirsches sehr viel zu verdanken und werde Ihnen immer ein liebevolles Andenken erhalten.

Britta Beyer


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Der folgende Artikel wurde von Britta Beyer zum 10. Todestag von Prof. Kirsche am 30.6.2018 geschrieben.

Gedenken an Prof. Dr. med. Walter Kirsche und seine Ehefrau Karla

Am 30. Juni 2018 jährte sich der Todestag von Prof. Dr. med. Walter Kirsche zum 10. Mal. Das war für mich Grund genug, diesem außergewöhnlichen Menschen und Pätzer Bürger, den viele von uns noch persönlich kannten, zu gedenken. Das möchte ich mit einigen Artikeln im Bestwiner tun, in denen sich meine Erinnerungen an das Ehepaar Karla und Walter Kirsche, die für mich Onkel und Tante waren, widerspiegeln.

Johannes Walter Kirsche wurde als Sohn des Oberlehrers Willy Kirsche und dessen Ehefrau Ella am 21. Juni 1920 in Oelsnitz/Erzgebirge geboren. Er hatte eine glückliche Kindheit in einer Familie, die sehr naturverbunden lebte, sowohl von der wissenschaftlichen als auch von der schöngeistigen Seite. Im Alter von 12 Jahren verlor Walter Kirsche seine Mutter, wenige Jahre danach auch seine Stiefmutter, beide an Krebs, und sein Entschluss stand fest: er wollte Arzt werden um den Kranken helfen zu können. Während des Krieges von 1939-45 studierte er in Leipzig, Jena und Berlin Medizin. 1945 erhielt Walter Kirsche nach dem Staatsexamen die Approbation als Arzt und promovierte zum „Dr. med“. 1950, mit 31 Jahren als jüngster in der DDR, wurde Dr. Walter Kirsche an der Humboldt Universität Berlin Universitätsprofessor mit Lehrauftrag. Seit 1948 hatte er seine Ehefrau Karla (geb. Hülpert-Vogel) an der Seite, die aufopferungsvoll seine Tätigkeit dienstlich und privat unterstützte.

Von 1966 bis zu seiner Emeritierung 1980 war Prof. Walter Kirsche der Direktor des Anatomischen Instituts der HU, das er schon von 1952-54 kommissarisch geleitet hatte. Er widmete sich mit ganzem Herzen der Ausbildung junger Mediziner und seinem Spezialgebiet, der Hirnforschung. Seine Vorlesungen waren wegen ihrer Anschaulichkeit und Vielseitigkeit sehr gut besucht. Ich arbeitete noch mit Ärzten zusammen, die vom Dozenten Kirsche schwärmten. Prof. Kirsche war Chefredakteur verschiedener Forschungsjournale und erwarb sich auch international einen bekannten Namen. Er wurde u.a. mit dem Titel „Verdienter Arzt des Volkes“ und wenig später mit der höchsten Ehrung der DDR, dem „Nationalpreis“ geehrt. 1980 musste Prof. Kirsche 60jährig aus gesundheitlichen Gründen die Berufstätigkeit aufgeben, arbeitete allerdings als Emeritus weiterhin an wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Das Augenmerk lag nun aber von Jahr zu Jahr mehr auf Erhaltung und Erweiterung des über 2 ha großen Gartens in Pätz. Karla Kirsche hatte nach dem Krieg das Wochenendgrundstück ihrer Großeltern Carl und Martha Pralow geerbt. Obwohl Kirsches in Berlin eine Institutswohnung hatten, wohnten sie in Pätz, ihrem Lebensmittelpunkt. Hier waren sie glücklich, denn beide verband u.a. eine tiefe Liebe zur Natur. So fand man im Sommer am Haus meistens das Schild „Im Garten“. Aus Liebhaberei und zu Forschungszwecken hatten Kirsches eine Schildkrötenzucht aufgebaut. Später kam die Zucht von Rosenköpfchen (einer Kleinsittichart) hinzu. An den Embryonen dieser Tiere stellte Prof. Kirsche vergleichende Hirnforschung an. An warmen Tagen mussten mehr als 40 Schildkröten in der großen Anlage gefüttert werden.

Aber auch andere Arbeiten standen an: die alte Streuobstwiese wurde gepflegt, die Wildblumenwiese 2 mal im Jahr per Sense (später Balkenmäher) gemäht und Heu gemacht. Neue Gehölze wurden gepflanzt und, wie auch der Bestand, mit Schildern versehen, die den deutschen und lateinischen Namen sowie das Verbreitungsgebiet auswiesen. In jedem Jahr wurde der Hausgarten mit Salat, Kartoffeln und verschiedenen Kräutern bestellt und gepflegt. Die Schildkrötenanlage und der angelegte Weiher wurden vergrößert. Im Frühjahr musste der Goldfischteich, der zahlreiche Amphibien und Reptilien beherbergte, entkrautet werden. Die Orchideenwiese an der Finnhütte wurde gehütet und gegen Betreten geschützt. All diese Aktivitäten setzten Hilfe voraus, die Prof. Kirsche auch gern gewährt wurde. Freunde und Bekannte, auch Kinder aus dem Dorf, waren aktiv dabei. Aber es gab nicht nur Arbeit. Oft traf man den Professor mit Fotoapparat oder Super-8-Kamera an. So sammelte er Material für Statistiken über die heimische Natur, wie den Rückgang einiger Amphibien, Reptilien- und Schmetterlingsarten. Diese Veröffentlichungen sollten der Allgemeinheit vor Augen führen wie wichtig der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur und ihr Schutz sind. Prof. Kirsche engagierte sich natürlich auch im regionalen Natur-und Umweltschutz und war Mitglied des NABU Deutschland. Das führte dazu, dass der parkähnliche Garten aufgrund seiner Artenvielfalt und deren Lebensräume zum Flächennaturdenkmal erklärt und somit besonderem Schutz unterstellt wurde. Nun konnten die Pflegemaßnahmen auch durch die Naturschutzbehörde LDS unterstützt werden. Gern führte Prof. Kirsche Interessierte durch das Gelände. Die Feiern zu seinem Geburtstag am 21. Juni zogen jährlich hochrangige ehemalige Kollegen und deren Familien nach Pätz, wo gemeinsam mit den Freunden nach dem Kaffeetrinken ein lehrreicher Gartenrundgang stattfand.

Mitte der 90er Jahre erkrankte Frau Kirsche unheilbar und die Sorge um sie ließ auch Prof. Kirsche spürbar altern. Im Laufe der Jahre reichte die Kraft nicht mehr und so wurde die Kakteensammlung aufgelöst, nach und nach die Zahl der Schildkröten vermindert, die Mahd der Wiesen und die Gartenpflege in Auftrag gegeben. Prof. Kirsche, nun auch schon Anfang 80, „besuchte“ seinen geliebten Garten mit einem Elektromobil und war deprimiert, nicht mehr aktiv wirken zu können. Er sorgte sich um die Erhaltung seines Lebenswerkes. So entwickelte sich die Idee, nach seinem Tod dem NABU Dahmeland das Flächennaturdenkmal als Vermächtnis zu hinterlassen. Die Flora und Fauna des Geländes sollte in Prof. Kirsches Sinn fachgerecht weitergepflegt und der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Dazu gab es tolle Konzepte und Ideen des NABU-Vorstandes und seiner Mitarbeiter. Leider ist bis zum heutigen Tag, 10 Jahre später, nichts dergleichen geschehen, nur die Streuobstwiese wird kommerziell durch einen Apfelzüchterverein genutzt und das Wohngrundstück wurde vom NABU verkauft.

Nach dem Tod seiner geliebten Karla, mit der ihn 58 harmonische Ehejahre verbanden, traten auch Prof. Kirsches Leiden zu Tage. Sein Ziel jedoch war es, seinen 88. Geburtstag zu erleben. Wir begingen diesen Tag noch im ganz kleinen Kreis. 9 Tage später vollendete sich in den frühen Morgenstunden das Leben eines international anerkannten Wissenschaftlers und unbeirrbaren Humanisten, eines begeisterten Naturforschers und lebenslangen Verehrers von Flora und Fauna.

Die Inschrift ihres Grabsteines „ Genieße die Freude, Leben zu schützen. Wir können es nicht mehr“ hatten Karla und Walter Kirsche schon in guten Tagen testamentarisch festgelegt.

Britta Beyer


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